Gruselmärchen

Es war kalt und dunkel, als er aufwachte.

Er konnte sich an nichts erinnern. Nicht einmal an seinen Namen, geschweige denn, ob er überhaupt einen Namen hatte. Vielleicht wurde er gerade geboren.

Mit angestrengten Sinnen schaute er sich um, sah aber nur endlose Dunkelheit. Er begann, Angst zu bekommen. Er bemühte sich noch mehr, und diesmal begannen undeutliche Umrisse zu erscheinen. Er war in einem Raum. Hohe Wände umgaben ihn von allen Seiten, und in der Ferne ragten seltsame Formen über ihn. Als er sich an die Dunkelheit gewöhnte und besser sah, bemerkte er auf den grauen Wänden einen wunderschönen Glanz. Es war, als ob ein Spiegel tausend Sterne in sich tragen würde. Er hielt den Atem an und starrte auf das kristalline Funkeln, das Gefühl, dass er es nie satt bekommen würde. Der Raum war aus regelmäßigen Formen und Elementen aufgebaut. Er konnte nicht beurteilen, welchen Zweck der Raum hatte, aber im Vergleich zu ihm war er riesig. Er erstreckte sich mehrere Stockwerke nach oben und unten. Die Böden der Etagen bestanden aus seltsamen Stangen aus künstlichem Material, durch die er den Inhalt der Ebenen über und unter ihm gut untersuchen konnte. Interessante Kästen, Kugeln und Zylinder wechselten sich scheinbar chaotisch ab, aber dennoch spürbar nach einer geheimnisvollen Logik geordnet. Und alles war von diesem funkelnden Glanz bedeckt. Er beruhigte sich immer mehr und lächelte. Er sah sich seinen eigenen Körper an. Er trug ein Kleid aus Papier, das in interessanten Farben leuchtete. Es bedeckte seinen ganzen Körper, vom Ende seines einzigen Beins bis zur runden Spitze seines Kopfes. Er wusste nicht, warum er ein Kleid trug, denn die Kälte wurde durch diese dünne Schicht nicht geschützt. Tatsächlich fühlte er, dass er überhaupt keinen Schutz vor der Kälte brauchte. Er fühlte sich gut und hatte überhaupt keine Sehnsucht danach, an einem wärmeren Ort zu sein. Er dachte, es wäre sicher kein Zufall, dass er hier gelandet war, und ein langes und glückliches Dasein erwartete ihn, mit vielen zu entdeckenden Wundern. Das Kleid wurde ihm wahrscheinlich nur aus ästhetischen Gründen gegeben, obwohl er, wenn er seinen stämmigen, dunkelbraunen Körper und sein gerades, flaches Bein betrachtete, nichts zu schämen hatte. Dennoch war er froh, ein Kleid zu haben, denn ohne es wäre er vielleicht schüchtern gewesen. Nicht, dass ihn jemand ohne Kleidung in dem kargen Raum sehen könnte, aber das Wissen, dass das bunte Papierkleid ihn vor neugierigen Blicken verbarg, war beruhigend. Er begann erneut, seine Umgebung zu untersuchen. An der Wand gegenüber sah er in der Ferne riesige Zylinder.

Hoch oben lagen seltsame, abgerundete Kugeln auf einer Vorsprung. Er konnte sich nicht vorstellen, was all diese Dinge um ihn herum sein könnten, aber da sie offensichtlich keine besondere Gefahr für ihn darstellten, beschäftigte er sich nicht weiter mit ihnen. Gerade als er anfing, den Dingen um ihn herum Namen zu geben, erfüllte sich sein Schicksal. Es begann damit, dass der aus langen Stangen bestehende Boden unter ihm zu zittern begann. Dann bebte der ganze Raum. Die riesigen Objekte stießen rhythmisch zusammen. Seltsames Klingeln und Rasseln war aus allen Richtungen zu hören. Das Beben wurde eine Weile stärker, dann hörte es auf. Er erschrak sehr. Er hatte keine Ahnung, was passieren würde, aber ein sehr schlechtes Gefühl überkam ihn. Plötzlich erfüllte ein blendendes, unerträglich helles Licht den Raum, und zur gleichen Zeit verschwand eine der gigantischen Wände des Raumes mit lautem Klirren und Krachen. Eine schreckliche Kraft packte ihn und schleuderte ihn von seinem Platz hoch. Er hatte keine Zeit sich zu erholen und stürzte in das blendende Licht. Die Kraft, die seinen Körper umklammerte, ließ nicht nach, sondern warf ihn nur hin und her in der grellen, riesigen Leere. Die angenehm kühle Luft wurde durch Hitze ersetzt, die durch sein Kleid drang und ihn zu ersticken begann. Er wagte es nicht, sich zu bewegen. Er wusste, dass er jetzt zugrunde gehen würde und nichts dagegen tun konnte. Er schloss seine Augen fest und ertrug es. Er beschloss, stolz dem Untergang zu gehören, aber die Panik überwältigte ihn sofort, als sein buntes Papierkleid unter schrecklichem Knistern begann, an ihm zu zerreißen. Das starke Licht und die Hitze fügten ihm dort sofort Wunden zu, wo die Überreste des Kleides seinen Körper nicht mehr schützten. Auf seiner dunkelbraunen Haut begannen winzige durchscheinende Flüssigkeitskugeln aufzutauchen. Er wollte schreien, aber kein Laut kam aus seiner Kehle, denn plötzlich wurde das gesamte Kleid von ihm entfernt und die brennende Schmerzen ließen ihm keine Luft zum Atmen. Plötzlich erschien ein riesiger, sabbernder Mund mit schaufelgroßen Zähnen und einer gigantischen Zunge, der unausweichlich auf ihn zukam. Er fiel in Ohnmacht. Sein letzter Gedanke kreiste um die ungerechte Kürze seiner Existenz. Er spürte nicht, wie der dunkle Innenraum des Mundes ihn aufnahm, wie die riesigen Lippen an seinem Hals klebten und der beißende, heiße Speichel sofort begann, seine dunkelbraune Haut aufzulösen. Die funkelnden Zähne berührten langsam seine Haut, und nach einem Moment des untätigen Drucks schnappten sie zusammen. So endete sein kurzes Leben. Seine Seele war bereits im Rückzug, als die klappernden Zähne systematisch die dunkelbraune Haut von seinem toten Körper abzogen und in sein schneeweißes Fleisch gruben. Langsam und genüsslich schmatzte der Mund auf dem, was von ihm übrig geblieben war. Die Zunge nahm geschickt die von der enormen Hitze verflüssigten Körperteile auf. Nach einer Weile blieben nur noch sein gerades Bein und einige geschmolzene Fleischstücke von ihm übrig. Dann ließ die Kraft ihn endlich los. Während sein Wesen dem Licht entgegenstrebte, fielen seine Überreste in die dunkle Tiefe.

Ich nahm meinen Fuß vom Pedal und der Deckel des Mülleimers schloss sich. Ich schloss die kleine Tür unter der Spüle und ging wieder zum Kühlschrank. In dieser Hitze wäre es gut, den süßen Geschmack des Vanille-Magnums mit einer Flasche Heineken herunterzuspülen.

Es war kalt und dunkel, als er erwachte.

Er stand in einem engen Fach, fest gedrückt neben einigen zylindrischen Kameraden. Er wusste nicht, wie er dorthin gekommen war und was er dort eigentlich tat, aber vorerst störte es ihn nicht, wo auch immer er war. Er genoss seine eigene Existenz, die kleinen Bläschen, die sein Inneres angenehm kitzelten, und seinen niedlichen kleinen Hut, der auf der Spitze seines langen, grünen Halses thronte. Er dachte, es sei sicher kein Zufall, dass er hier gelandet war und ein langes, glückliches Leben voller Wunder auf ihn wartete, die darauf warteten, entdeckt zu werden…

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